Der Nachsommer (Adalbert Stifter)

2008 Okt

Einer der langweiligsten Romane der Weltliteratur wird zum ersten Mal auf die Bühne gebracht. Adalbert Stifters Nachsommer fürs Theater zu adaptieren, kann man guten Gewissens als waghalsiges Unternehmen bezeichnen: Hölzerne Dialoge, detailfixierte Beschreibungswut, das komplette Fehlen von Spannung - das rief seit jeher Kopfschütteln bei Lesern und Kritikern hervor. Hier gibt es keine Abkürzungen, nur den eigentümlichen Sog der meditativ gedrosselten Natur- und Dingbeschreibungen.

Im Zentrum dieses Bildungsromans steht der schon zu Beginn rundum vorbildliche Autodidakt Heinrich. Entscheidende naturwissenschaftliche und künstlerische Impulse erfährt er durch die Aufnahme im Hause eines sogenannten Gastfreunds. Der Aufenthalt endet zuletzt in der sorgfältigst angebahnten Eheschließung mit der Ziehtochter des Hauses. Gespiegelt wird dieses Glück im tragischen Scheitern der Jugendliebe des Gastfreunds, mit der er inzwischen, nach langer Trennung, eine nachsommerlich abgeklärte Verbindung eingegangen ist – ihr rückblickend durchlittener Liebesunfall ist der Bezugs- und Brennpunkt aller nachfolgenden, bis ins Sterile geordneten Lebensentwürfe.

Im Rahmen der autonomen Oktober-Residenz im Ballhaus Ost entsteht unter der Regie des Theaterdiscounter-Leiters Georg Scharegg eine gegenwartsbezogene Fassung des Nachsommer und ein Versuch zur Modernität dieses Autors. Gibt es Brücken zu heutigen restaurativen Bio-Biedermeiertendenzen? Übertreffen wir Stifters zwanghafte Liebe zu den Dingen mit unserem Warenfetischismus nicht um Längen? Hat hier einer gar frühzeitig Nachhaltigkeit im Umgang mit den Ressourcen, Respekt vor dem Gewachsenen und kontrollierbare globale Wechselwirkungen zu recht angemahnt?

Ein Kunst-Konstrukt über die Vorhersehbarkeit und Planbarkeit des Glücks; die Überprüfung eines gegen politische Aufgeregtheit gerichteten Lebenskonzepts; Sehnsucht nach Struktur; Transzendenz im Diesseitigen; erschriebene Ordnung. Worin liegt die Faszination dieses entschleunigenden Materials, wie viel hat das mit uns zu tun?


Mit Stefan Düe / Sébastien Jacobi / Stephanie Petrowitz / Matthias O. Schneider/ Irina Wrona Regie Georg Scharegg Raum Silke Bauer Kostüm Viola Weltgen Regieassistenz Franziska Müller Animation Guido Alfs